Interview mit Cornel Windlin
von David Clavadetscher, Februar 2003
Cornel Windlin (*1964) besuchte nach der Matura die Grafikfachklasse an der Schule für Gestaltung in Luzern. Nach seinem Abschluss zog er nach London und arbeitete längere Zeit für Neville Brody. 1990 wechselte er als verantwortlicher Designer und Art Editor zum Magazin The Face und eröffnete ein Jahr später sein eigenes Studio.
1993 zog er nach Zürich und arbeitet seither für grosse und kleine Kunden aus dem In- und Ausland. Für die Spielzeit 2001/02 war er verantwortlich für den Neuauftritt und das Gesamterscheinungsbild des Schauspielhauses Zürich während der Direktion Marthaler.
Viele der von ihm gestalteten Bücher und Plakate wurden national und international ausgezeichnet. Ausserdem ist seine Arbeit in Büchern und Fachzeitschriften eingehend gewürdigt worden.
Mit Stephan Müller gründete er 1994 ‘Lineto’, ein Label unter welchem eigene Schriftentwürfe veröffentlicht werden, die über die Jahre als Nebenprodukt seiner grafischen Arbeit entstanden sind.
 
Cornel Windlin, warum gestaltest Du? Was ist Dein Ansporn, Deine Antriebskraft?
Was ich mache hat ziemlich viele verschiedene Aspekte. Gewisse sind freier, andere angewandter. Insofern lässt sich das nicht generell beantworten. Vielleicht steht dahinter die Frage, was meine Motivation ist, diesen Beruf auszuüben?
Ich hatte mich mit sehr vagen Vorstellungen für die Schule für Gestaltung beworben. Das war für mich eine grosse Herausforderung. Ich stamme nicht aus einem typischen künstlerisch/gestalterisch vorbelasteten Umfeld. Ich wollte nach der Matura nicht studieren gehen, und es war ungewöhnlich, sich für die Kunstschule zu bewerben. Als ich den Vorkurs machte, hatten höchstens zehn Prozent der Leute eine Matura. Wenn ich nicht angenommen worden wäre, hätte ich vermutlich etwas ganz anderes gemacht.
Der Vorkurs war super interessant, eine völlig andere Welt mit ganz anderen Herausforderungen. Ich habe mich während diesem Jahr entschieden, in Richtung Grafik weiterzumachen. Auch nicht genau wissend, um was es sich bei Grafik handelt. Was das bedeutet…
Du bist also reingerutscht in das Ganze?
Was heisst reingerutscht; mir war nicht ganz klar, was das eigentlich ist, was ich mache; wohin es führt. Ich wusste nicht, was das, was man uns zu vermitteln versuchte, mit mir zu tun haben soll. In der Grafikfachklasse wurden technische Sachen vermittelt. Die Ausbildung war auf den kommerziellen Arbeitsbetrieb ausgerichtet. So musste man sich gewisse Sachen selber beibringen; selber herausfinden, was man will und was das ist, was man macht. In der Fachklasse gab es aber immer einige, die ihr Ding gemacht haben.
Viele Deiner Arbeiten sind sehr lustvoll, man sieht, dass Dir Deine Arbeit Freude bereitet. Hast Du Dir schon überlegt, warum es Dir Freude bereitet?
Ohne Lust an der Sache geht es nicht. Das finde ich sehr wichtig. Aber ich glaube nicht, dass ich etwas anderes weniger lustvoll machen würde. Das hat nicht unbedingt etwas mit Grafik zu tun. Ich habe mich irgendwann entschieden, Grafik zu machen und zwar so zu machen, wie ich das will und nicht so, wie es von mir verlangt wird. Das war schon in der Schule so. Ich habe immer versucht, mich abzugrenzen, mein eigenes Ding durchzuziehen, gewisse Sachen zu hinterfragen und anders zu interpretieren. Gerade weil ich in der Grafik schnell mit gewissen Regeln konfrontiert war, wie man etwas macht und wie nicht.
Welche Fähigkeiten erachtest Du für einen Gestalter am wichtigsten?
Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit, Talent – mit Talent meine ich künstlerisches Talent. Zudem gestalterische Fingerfertigkeit. Und Ausdauer.
Hast Du eine bestimmte Methode des Gestaltens? Gibt es in der Art Deines Vorgehens irgendein erkennbares Muster, eine Struktur?
Hast Du das Gefühl, dass es ein erkennbares Muster im Resultat meiner Arbeit gibt?
Nicht unbedingt. Aber das hängt auch nicht unbedingt zusammen.
Eine Methode im Sinne eines Rezeptes gibt es nicht. Das ist auch etwas, das ich zu vermeiden versuche. Wenn jemand beginnt, sich zu wiederholen, wird es mir langweilig. Und ich glaube, nicht nur mir.
Im Moment arbeite ich seit längerer Zeit wieder alleine. Da läuft der Prozess natürlich wieder anders. Sonst diskutiert man eine Sache sehr oft und detailliert. Man reagiert auf ein Gegenüber, entwickelt etwas miteinander oder sogar gegeneinander. Oder man sagt auf Grund eines gemeinsamen Erfahrungsschatzes oder Empfindens: "O.K., für das müsste man eigentlich das und das machen". Dann beginnt man, eine Idee zu wälzen, zu überlegen, zu diskutieren, "Ist das jetzt richtig oder falsch?", und so weiter. Es gibt aber auch die umgekehrte Version, dass man über das Machen zu etwas kommt und nicht über konzeptionelles Denken. Es ist auch schon passiert, dass ein Plakat innerhalb von zwei Minuten gemacht war oder aber sehr, sehr lange gedauert hat.
Aber wie kommst Du denn zu einer Idee?
Keine Ahnung! Die hat man einfach irgendwie. Durch die Auseinandersetzung damit und das Stellen gewisser Fragen. Was ich mache, ist immer in einen Kontext eingebunden – in einen gesellschaftlichen, in einen medialen. Ausserdem gibt es noch den Kunden, der spezifische Bedürfnisse hat, der unter Umständen bereits eine Vorstellung hat, wie man etwas macht und was er haben möchte. Da muss man erst einmal zuhören können, und dann überlegt man sich, um was es eigentlich geht. Und ob das einen überhaupt noch interessiert! Man muss die Situation sehr genau verstehen können, um in so einer Konstellation gute Arbeit zu leisten; man muss zur Zusammenarbeit fähig und zur Konfrontation bereit sein, sofern sie notwendig wird. Man muss aber einerseits sicher sein, was man erreichen will, und andererseits argumentieren können, warum, wie, was, wo, etc. Also: Man muss überzeugen können.
Du hast Fragen angesprochen, welche Dir helfen, zu Ideen zu kommen. Um Fragen welcher Art handelt es sich dabei?
Dort wird es unter Umständen auch politisch und relevant für die Gesellschaft. Unsere Arbeit ist immer auch im öffentlichen Raum zu sehen. Insofern hat man eine gewisse Verantwortung. Beispiel Schauspielhaus Zürich, das doch eine gewisse Rolle einnimmt, oder sagen wir, einnehmen kann oder könnte. Da gibt es auch unterschiedlichste Auffassungen, wie man auftreten darf, und wie nicht. Da wird unter Umständen meine Position wichtig, weil sie an einer Schnittstelle steht und sagen kann, wir machen es so, und eben nicht anders. Das ist eine grosse Entscheidung und hat je nach dem relativ grosse Auswirkungen.
Was wir machen ist nicht zeitlos, sondern stark beeinflusst von vielen anderen Sachen, die um uns herum passieren. Es gibt auch mir widersprechende Haltungen, die fordern, dass ein Grafiker primär versuchen sollte, die formal adäquateste Lösung zu finden. Ich finde, dass sich das nicht voneinander trennen lässt. Gestaltung ist nie neutral, auch nicht, wenn sie sich so gibt. Ich glaube, dass das, was ich mache, mehr ist als blosse Verpackung eines Inhalts, sondern auch Teil eines solchen Inhalts ist. Das ist das Schöne und gleichzeitig die Crux dieses Berufes. Die eigene Arbeit wird mit etwas anderem verbunden. Schliesslich wird man sogar als Person als Teil des Anderen wahrgenommen. Obwohl man unter Umständen nicht alle Aspekte des Anderen gut findet und auch nur auf einen kleinen Teil Einfluss hat.
Du hast gesagt, dass das was man macht auch immer in den Zeitkontext eingebunden ist. Gibt es denn zeitlose Gestaltung?
Es gibt Klassiker, die immer aktuell bleiben oder andere, die von Zeit zu Zeit wieder aktuell werden. Wobei ich eigentlich glaube, dass Gestaltung immer sehr stark in die jeweilige Zeit eingebunden ist. Man kann zum Beispiel relativ schnell sagen aus welcher Zeit etwas stammt. Auch bei Sachen, die revivalmässig wiederkehren, weisst du ja, ob es Original oder Kopie ist.
Wäre es denn überhaupt erstrebenswert…
Ich finde Zeitlosigkeit eigentlich nichts unbedingt Erstrebenswertes. Es bedeutet zu einem gewissen Grad auch Gesichtslosigkeit. Es gibt Sachen jenseits des letzten Schreis, welche eine gewisse Qualität haben und diese immer behalten und interessant bleiben. Andere haben das nicht oder sind zu einem bestimmten Zeitpunkt genau richtig und danach genau falsch. Beides hat seinen Reiz. Es muss nicht alles Bestand haben. Die Sachen, welche ein Grafiker macht verschwinden auch alle wieder; die sind nicht wie ein Haus, welches nach fünf Jahren ein Ärgernis darstellt.
Das kann auch frustrierend sein: Man macht etwas, es ist für ein paar Monate da, bevor es für immer verschwindet.
Nicht unbedingt. Es hängt auch vom Anspruch an die eigenen Arbeit ab. Wenn du etwas mit Herz und Intelligenz machst und weisst, warum du es machst, kann das nach zehn oder fünfzehn Jahren wieder auftauchen oder sehr aktuell sein. Es kann trotzdem gewisse Qualitäten haben, auch nachdem es den Glanz des Aktuellen, Modernen, Trendigen, Hippen verloren hat. Aber normalerweise gibt es ja nichts schlimmeres als eine fünfjährige Hitparade, oder?
Versuchst Du denn in Deiner Gestaltung, etwas in die Richtung des Aktuellen, Modernen, Trendigen, Hippen zu machen?
Absolut nicht. Erstens ist es total willkürlich und unklar, was es überhaupt ist. Der eine nimmt das so wahr, und der andere anders. Wenn jedermann weiss, dass es das jetzt ist, ist es sowieso definitiv vorbei. Das kann ja auch ein Problem sein, dass ein Auftraggeber das Gefühl hat, was er irgendwo gesehen hat, sei der letzte Schrei, und du musst ihm beibringen, dass dem nicht so ist, sondern im Gegenteil....
Diese Worte existieren für mich nicht; trendy zu sein interessiert mich nicht im Geringsten. Punkt. Ich habe meine eigenen Obsessionen, Dinge, die ich interessant finde und denen ich nachgehe. Was immer ich erlebe, fliesst auf gewisse Art und Weise in die eigene Arbeit mit ein, das lässt sich auch schwer vermeiden. Wenn man ein bisschen wach ist, sieht man bestimmte Entwicklungen, und kommt zu einer Interpretation davon, wie etwas im Moment aussehen ‘muss’. Da kann man selbst überlegen, ob man das auch machen will, oder lieber etwas anderes. Die zur Verfügung stehenden Stilmittel sind begrenzt und irgendwann muss man sich überlegen, was spannend wäre. Wenn man das Gefühl hat, dass etwas vorbei ist, muss man etwas anderes machen, etwas pushen. Das ist ein bisschen anstrengend, dafür letztlich interessanter. Sonst wird einem langweilig.
Gibt es überhaupt noch Freiräume zur Erfindung neuer, eigenständiger Ideen? Oder gibt es alles schon?
Schwierige Frage. Das ist eine philosophische Frage. Als Pessimist sagt man, dass es bereits alles gibt; als Optimist, dass alles möglich ist.
Und bist Du der Pessimist oder der Optimist?
Nein, nein, ich bin kein Pessimist, und ich denke, man sollte sich zumindest die Illusion bewahren, dass man etwas machen kann. Und es stimmt ja auch, es gibt immer einen Weg, etwas neu zu erfinden, manchmal fällt es einem leichter, manchmal muss man sich etwas anstrengen. Wer jammert: "Alles ist vorbei, es gab alles schon, es gibt nichts Neues, etc.", der hat ein Problem mit sich und der Welt.
Es spielt eine grosse Rolle, was man sich überlegt. Es ist auch nicht so, dass alle Leute blind sind. Selbst wenn von den 1000 da draussen 980 blind sein sollten, gibt es immer noch zehn, die vielleicht nur farbenblind sind und weitere zehn, die es wirklich gesehen haben. Unter Umständen sind diese zehn sehr wichtig.
Ausserdem spielt es auch keine grosse Rolle, ob es alles schon gegeben hat oder nicht. Es ist wichtiger, zu wissen, warum man macht, was man macht und versucht es gut zu machen. Versucht, mit dem was man macht, etwas anzubieten und nicht etwas wegzunehmen.
Was meinst Du mit ‘wissen, warum man macht, was man macht’?
Dass man das, was man macht, mit einem gewissen Engagement und Bewusstsein macht.
Du hast vorhin von Blindheit des Publikums gesprochen. Was versteht das Publikum überhaupt von Gestaltung?
Wenn ich sage, dass von 1000 Personen es 980 nicht verstehen, könnte das ein bisschen als Arroganz ausgelegt werden. So ist es nicht. DAS Publikum gibt es sowieso nicht. Es gibt ja diese quasi-wissenschaftlichen Bestrebungen, das Zielpublikum zu 'penetrieren', wie die das nennen. Ich hasse diesen Begriff des Zielpublikums. Das ist das Ende jeglicher Gestaltung und vor allem das Ende jeglicher Erfindung, das wäre bloss noch rasender Stillstand.
Gut, man kann es auch umformulieren. Was verstehen Nicht-Gestalter von Gestaltung?
Das ist eine interessante Frage. Das Interessante ist, dass sie anders schauen als Gestalter. Die Nichtgestalter sind eigentlich wichtiger. Ich arbeite nicht wirklich für ein Grafik-Publikum. Gestalter haben die Tendenz, autistisch auf ihrem eignen Ding zu sitzen und das Gefühl zu haben, wie wichtig es sei, dass das hier jetzt zwei Millimeter nach oben und da grün und so gedreht,… Leute werden oft viel mehr von einer Gesamtheit der getroffenen gestalterischen Massnahmen erreicht und weniger von dieser und dieser Typografie oder der Bindungsart. Sie urteilen oft eher pauschal. Sagen: "Das ist mir zu kompliziert!" oder "Die Schrift ist zu klein.", "es wirkt frisch", oder "es wirkt tötelig." Manchmal können sie es auch nicht richtig sagen. Mit solchen Sachen kann man eigentlich auch umgehen. Natürlich ist das bis zu einem gewissen Grad schwer steuerbar. Zudem ist es auch durch die Erfahrung dieser einzelnen Leute gefärbt. Je enger das Publikum gefasst ist, desto einfacher ist es natürlich, mit ihm zu kommunizieren. Deswegen ist es viel einfacher, im sogenannten Underground-Bereich zu arbeiten, da bleibt man unter sich.
Denkst denn Du, dass sich die Vorstellungen, welche GestalterInnen von guter Gestaltung haben mit denen des Publikums decken?
Sprichst Du nun spezifisch von Grafik?
Ja.
Das weiss ich nicht. Es gibt schon Bereiche, wo sich das überschneidet. Aber es gibt auch Musiker, welche nur andere Musiker toll finden und zu denen das Publikum den Zugang nicht findet. Es gibt auch Künstler, die vor allem von anderen Künstlern geschätzt werden. Ich glaube, dass das bei der Grafik bis zu einem gewissen Grad auch so ist.
Was für eine Rolle spielt bei Dir der Kunde? Wie sieht da die Zusammenarbeit aus?
Der spielt eine grosse Rolle. Deswegen kann ich auch nicht mit jedem arbeiten. Das merkt man schnell. Es ist sehr wichtig, ‘gute’ Kunden zu haben. Das Verhältnis zwischen Kunde und Auftraggeber ist immer ein Machtverhältnis – was schnell problematisch werden kann. Mit gewissen Personen kann man ziemlich informellen Umgang haben, und trotzdem klappt es. Bei anderen muss man sich stark abgrenzen. Es ist wichtig, ein Verhältnis zu schaffen, welches einem erlaubt, seine Arbeit möglichst gut zu machen. Sowohl für sich selbst, als auch für den Kunden. Wenn man nicht endlos Dienstleistungen erbringen will, mit denen man am Schluss nicht zufrieden ist. Es ist schwierig, eine Balance zu finden zwischen offen sein, zuhören, verstehen wollen und sich über die eigene Zielsetzung im Klaren zu sein, darauf zu vertrauen, dass es unter Umständen auch für den anderen wichtig ist – ohne dass er es weiss. Und das alles im Bewusstsein, dass man sich unter Umständen auch irren kann.
Findest Du, dass Du effizient arbeitest?
Es gibt sicher effizientere Gestalter. Ich kann sehr effizient sein, aber auch nicht. Es mag sein, dass ich ein Plakat in zwei Minuten gemacht habe, dann aber noch zwei weitere Wochen andere Sachen ausprobiert habe, bevor ich wieder zum ersten zurückging.
Wovon hängt das ab, wie lange es dauert?
Bis ich zufrieden bin. Oder bis es fertig sein muss... Unter Umständen bedeutet das auch, dass man einen extremen Einsatz leisten muss. Es kann vorkommen, dass ich eine Nacht durcharbeite. Ich versuche, das zu vermeiden. Man muss abschätzen, ob es sich lohnt diesen Einsatz zu leisten, oder ob man einfach sagt: "Fertig, jetzt gehe ich Fussball spielen." Unter Umständen ist das die Haltung, die zu besseren Resultaten führt. Ich denke, dass Gestalter oft eine leicht masochistische Ader haben, und generell zu opferbereit sind.
Der gestalterische Prozess scheint mir schon zeitlich schwer berechenbar…
Manchmal geht es auch sehr schnell. Nach der ersten Minute Besprechung weiss man es eventuell schon. Aber unter Umständen braucht es lange, bis es tatsächlich auf eine wirklich gute Art auf dem Papier ist. Das ist entscheidend. Die richtige Idee ohne die richtige Umsetzung reicht vielleicht doch nicht. Entscheidend ist auch, dass man etwas wagt, ein Risiko eingeht.
Auf Nummer sicher… In einem straff kommerziell organisierten Betrieb weiss man genau, wie viel Zeit man für etwas einsetzen kann. Wenn du jedoch versuchst, darüber hinauszugehen, musst du die Zeit dafür irgendwo hernehmen – irgendjemand muss dafür bezahlen. Eventuell du selbst.
Bist Du beim Arbeiten immer motiviert? Oder gibt es auch Tiefpunkte?
Gut, ich arbeite schon seit längerer Zeit, und es ist schwierig das global für die letzten 10, 15 Jahre zu sagen. Natürlich gibt es Tiefpunkte. Tiefpunkte gab es jedoch vor allem, als ich keine Arbeit hatte. Ich war nicht immer erfolgreich. Es ist schwierig, motiviert zu sein, wenn Du merkst, dass niemand an deiner Arbeit interessiert ist. Das habe ich auch erlebt.
Aber wenn ich nicht motiviert wäre, könnte ich gar nicht arbeiten. Das geht gar nicht.
Aber es ist nicht so, dass Du im Arbeitsprozess unmotiviert wärst, wenn ein Problem auftaucht?
Probleme tauchen dauernd auf. Es ist nie ein geradliniger Prozess. Engagement ist immer stark gefordert. Etwas herausfinden, entwickeln, Sachen organisieren, Produktion abwickeln: All das braucht sehr viel Energie. Vor allem wenn man über das rausgehen will, was der Standard ist. Man ist immer mit Vorstellungen konfrontiert, was drin liegt, und was nicht.
Ein Problem unseres Berufes ist auch, dass es Missverständnisse gibt über das, was wir machen. Je nach dem ist man schon von Beginn weg in einer schlechten Position. Dann muss man schnell klarstellen, was man macht und was nicht. Vorallem am Anfang ist das ein Problem. Dazu kommt die eigene Unsicherheit.
Natürlich bin ich nicht immer gleich motiviert. Aber ich versuche, nur Arbeiten zu machen, die mich reizen und interessieren. Der Plan war immer, mit diesen Arbeiten soviel Geld zu verdienen, dass ich die anderen nicht machen muss. Und das ist jetzt der Fall.
Dann lehnst Du auch Aufträge ab?
Ja, sicher. Das ist zwar manchmal gar nicht so leicht. Aber man muss schnell lernen, nein sagen zu können. Man musst sehr schnell abschätzen, ob man etwas überhaupt machen will. Bringt es das für mich? Sehe ich darin die Chance, etwas zu entwickeln? Ist es diese Sache wert? Und: kann ich mit denen überhaupt arbeiten? Da hat halt jeder seine eigenen Prioritäten.
Es gibt auch das Problem, dass man immer entweder zu viel oder zu wenig zu tun hat. Man muss wissen, wie viel man sich zumuten kann. Es bringt nichts, sieben Tage die Woche zu arbeiten. Man wird deswegen nicht besser, nicht origineller, nicht frischer. Man muss auch eine gewisse Zeit für sich selbst reservieren. Es ist deshalb wichtig, sich selbst einen Rhythmus zu geben;
Effizienz kann insofern sehr wichtig sein. Auch das merkt man mit der Zeit von selbst.
Du hast bereits Probleme angesprochen. Was sind denn die grössten Probleme, die Du in einem gestalterischen Prozess hast?
Gut, was heisst Probleme? Die Herausforderung ist, etwas zu finden, das einen reizt, einen selbst weiterbringt und gleichzeitig für den Auftrag funktioniert. Diese Erfindung ist eine konzeptionelle, ideelle, gedankliche, natürlich eine gestalterische, künstlerische. Die Herausforderung ist auch, dass man sich selbst sehr schnell klar werden muss, was man erreichen will.
Die andere Herausforderung ist, die Kontrolle zu behalten. Einerseits ist man in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die Kompetenzen müssen deshalb geklärt sein. Andererseits muss man dranbleiben! Es nützt nichts, bloss fünf geniale Minuten zu haben. Du musst die Geschichte wirklich durchziehen, auf verschiedene Medien anwenden, etc.. Man kann z. B. extrem lange an einem Buch arbeiten, doch zum Schluss kann es immer noch im Druck fallieren. Das ist mir auch bereits passiert, und dann ist die ganze Arbeit im Eimer. Oder bei einer grossen Institution, wenn die Entscheidungswege verschlungen und die Machtverhältnisse undurchsichtig sind, wird die Kontrolle der eigenen Arbeit sehr schwierig. Auch das habe ich schon erlebt.
Man braucht also auch viel Ausdauer. Das hängt auch von der Länge eines Projektes ab. Ich habe erst mit der Zeit längerfristigere, grössere Sachen gemacht, auch auf einem inhaltlich höheren Niveau, wo es komplizierter wurde. Unter Umständen muss man sich dann auch mit anderen hochkarätigen Persönlichkeiten auseinandersetzen, die vielleicht selber Gestalter, Künstler, Architekten, Autoren sind. Das ist auch das Interessante an diesem Beruf, dass man mit unglaublich vielen verschiedenen Leuten zu tun hat – vom Fabrikarbeiter bis zum Generaldirektoren.
Was sind nennbare Qualitätskriterien nach welchen Du Gestaltung beurteilst?
Ich habe noch nie behauptet, dass ich gute Gestaltung mache! Ich finde den Begriff ‘gute Gestaltung’ auch schwierig. Trotzdem finde ich gewisse Sachen gut und andere schlecht.
Das für mich wichtigste Kriterium ist, wie viel sie mir erzählt! Und dann kann man noch sagen, ob etwas technisch gut oder weniger gut gemacht ist.
Gibt es irgendeine Deiner Arbeiten, die Du besonders magst?
Ja, es gibt viele. Das ändert von Zeit zu Zeit auch ein wenig. Es gibt einzelne Sachen, von denen ich denke, dass es gut ist, sie gemacht zu haben. Oder wo ich froh bin, es durchgerungen zu haben. Wertschätzung ist manchmal auch ein bisschen mit der Situation verbunden, wann und wie man es gemacht hat.
Beispielsweise ein Programmheft fürs Schauspielhaus Zürich aus der ersten Saison. Es handelte sich um ein Stück namens ‘Fragen der Einstellung’ eines Schriftstellers, der gleichzeitig Topmanager einer Weltfirma ist – und auch in diesem Stück über seine Erfahrungen spricht. Das Resultat ging in bester Art und Weise über das hinaus, was man von einem Programmheft erwarten kann. Wenn ich das sehe, denke ich: Das ist gut! Und: Das würde es ohne mich nicht geben. Das ist auch gut.
Warum findest Du dieses Programmheft gut? Ist es, weil es über die Norm – das was man machen muss – herausgeht?
Nein, es geht nicht darum. Es ist am Schluss einfach ein gelungenes Teil. Es ist neuartig, es funktioniert, es sieht gut aus, und es macht ein Angebot an den Betrachter, den Leser, den Theaterbesucher.
Zweifelst Du jemals als Gestalter an Deiner Person oder Arbeit?
Ich glaube, jeder kommt dann oder wann an einen Punkt des Zweifels. Das kann aus privaten Gründen sein, oder aus finanziellen, oder aus künstlerischen, oder gesundheitlichen, etc.. Das zwingt einen jeweils, neu und anders zu überlegen – was nicht unbedingt schlecht ist. Man sagt ‘Entwicklung’ dazu. Aber man soll es auch nicht übertreiben. Ich finde Grübler und Zweifler nicht besonders attraktive Leute. Es ist immer gut, Fragen zu stellen. Aber es ist immer auch gut, ein paar Antworten zu haben.
Was denkst Du, sind die Hauptfunktionen von Gestaltung – Grafik im Besonderen?
Natürlich die Vermittlung. Das Transportieren von etwas. Beispielsweise erachte ich das Buch von Marshall Mc Luhan – gestaltet von Quentin Fiore – ‘The Medium is the Message’ als die perfekte Symbiose zwischen Inhalt und Gestaltung. O.k., das ist nicht gerade das aktuellste Beispiel, aber es ist ein Klassiker, und das Buch wäre nie so erfolgreich gewesen, wenn es nicht auf diese Weise gestaltet worden wäre. Es wäre aber auch nicht so gestaltet worden, wenn der Inhalt anders gewesen wäre.
Sollte Gestaltung selbsterklärend sein?
Ich glaube, ja.
Allumfänglich? Dieser Anspruch schränkt die gestalterischen Möglichkeiten stark ein…
Nicht unbedingt. Was heisst selbsterklärend?
Oft überlegt man sich während des Gestaltungsprozesses viel mehr Dinge, als der Betrachter am Ende wahrnimmt. Braucht es denn alle diese Sachen, die man sich überlegt?
Die Sachen, welche man sich mehr überlegt sind nur sinnvoll, wenn sie tatsächlich der Vermittlung etwas bringen. Wenn sie dieser Vermittlung im Wege stehen, ist es fragwürdig. Du kannst eigentlich sagen, wenn man ein Buch macht, ist das Buch nicht fertig, bis es jemand gelesen hat. Meine Aussage ist natürlich gefährlich. Ein Gestaltungsfeind könnte daraus schlussfolgern, dass es das alles gar nicht braucht, was ich mache. Es kostet nur viel und ist sowieso Blödsinn. Das wäre aber ein Trugschluss. Die Frage ist, was ist das genau, was du mehr leistest!? Auf was konzentriere ich mich? Was ist essentiell wichtig, was weniger? Manchmal müssen Gestalter auch ein bisschen vor sich selber geschützt werden. So richtig gut-gut-gut gestaltete Sachen gehen mir nämlich oft total auf den Wecker.
Gibt es irgendein Thema, eine Frage, die Dich als Gestalter stark beschäftigt, ich hier jedoch nicht erwähnt habe?
Was mich an Gestaltung aufregt ist, wie oberflächlich es letztendlich doch ist. ‘Schön und blöd’ ist oft das Problem, auch bei sehr erfolgreichen Sachen. Es deprimiert mich manchmal ein bisschen, Teil von etwas zu sein, das mich letztlich nicht interessiert.
Danke vielmals, daß Du Dich dieser Tortur ausgesetzt hast.
Bitte. War keine Tortur, ist o.k..
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© David Clavadetscher, 2004.